Oft werden meine Allergien belächelt, obwohl sie meinen Alltag massiv einschränken. Jetzt erzähle ich, wie belastend Allergien wirklich sind. Von Dr. Victoria Lunz, MLBT.
„Morgen holen wir die neue Katze ab!“, berichtet Steffi freudestrahlend. Alle wollen Fotos von dem Baby-Kätzchen sehen. Es gibt kein Halten mehr – alle sind verzückt. Alle, bis auf mich!
Ich füge Steffi gedanklich zur Liste von Leuten hinzu, die ich nicht mehr zu Hause besuchen kann. Es ist eine lange Liste, auf der sich nur Freunde von mir befinden die ein Haustier besitzen. Es muss keine Katze sein, auch ein Hund, Hamster oder ein Meerschweinchen haben denselben Effekt. Meine „Tierbesitzer-Freunde“ besuche ich vorzugsweise an Tagen, an denen man im Freien sitzen kann.
Nun also auch Steffi. Ich stimme nicht in die „Ooohh wie süß“-Ausrufe ein. Vorsichtig merke ich an, dass das für mich dann problematisch wird sie zu besuchen. Die Allergikerin als Spaßbremse!
Eine Baby-Katze ist natürlich interessanter als Asthma-Sprays und Allergietabletten. Außer für jemanden wie mich, der an allergischem Asthma leidet. Für mich ist das Ganze nicht neu. Anders als die meisten meiner Freundinnen konnte ich als Kind keine Reitstunden nehmen. Ich war einfach immer die, die nur einen Fisch als Haustier hatte.
NICHT DIE HAARE SIND DAS PROBLEM
Meine „Tierbesitzer-Freunde“ versuchen zwar verständnisvoll damit umzugehen. Aber Ideen wie, die Katze einfach in ein anderes Zimmer zu sperren, oder noch einmal schnell die Wohnung zu putzen bevor ich zu Besuch komme sind freundliche Gesten, die nur bedingt hilfreich sind. Nicht die Tierhaare sind das Problem für mich als Allergikerin. Das ist zwar eine weitverbreitete Annahme, aber es sind vielmehr kleine Partikel, die sich meist im Speichel von Tieren befinden.
Im Fall von Katzen ist das Hauptallergen das Fel d1-Protein. Dieses kleine Teil verteilt sich nicht nur irrsinnig schnell, sondern haftet auch an Wänden, Möbeln oder anderen Gegenständen. Die Wohnung müsste schon mit Bleiche gereinigt werden um die Allergene zu zerstören, wie eine Studie herausfand (J Allergy Clin Immunol 2003;111:396-401.). Selbst bei einer Behandlung mit Temperaturen von 140°C bleiben immer noch Fel d1 Partikel zurück, wie Studien gezeigt haben (Allergy 1998: 53: 1213-1215.).
Deshalb reicht es manchmal sogar, nur mit dem Katzenbesitzer zusammenzutreffen um eine allergische Reaktion hervorzurufen. Auch bei Treffen im Freien oder kurzen Aufenthalten in einer Katzen-Wohnung„ kommt irgendwann immer die Frage “Musst du wirklich schon gehen?”.
Die Antwort lautet immer „ja“, denn trotz der eingeworfenen Allergietablette und des täglichen Konsums meines Asthmasprays hat mich die Allergie fest im Griff.
IT’S NOT JUST HEUSCHNUPFEN
Zu Beginn jucken mich die Augen so sehr, dass ich sie mir auskratzen möchte und die Nase rinnt als wären Schleusen geöffnet worden. Aber das ist noch nicht alles: Zeitgleich fällt mir das Atmen immer schwerer. Obwohl ich versuche immer tiefer Luft zu holen, erreicht scheinbar nichts die Lunge. Das Engegefühl in der Brust wird von Minute zu Minute stärker. Ich beginne vermehrt zu husten und ein pfeifendes Geräusch begleitet jeden meiner Atemzüge.
Sobald sich die Wohnungstüre meiner Freunde schließt, krame ich nach meinem zweiten Asthma-Spray. Dieser ist für den Akutfall wie nach diesem Besuch. Ich nehme einen tiefen Zug und hoffe, dass die Wirkung nicht zu lange auf sich warten lässt.
ÜBERREAKTION – MEIN KÖRPER SCHIESST MIT KANONENKUGELN AUF SPATZEN
Mein Körper wendet sich in diesen Momenten gegen mich – eine Fehlfunktion des Immunsystems. Fein abgestimmt übernehmen verschiedene Zellen eine spezifische Rolle bei der Verteidigung des Körpers.
INFOBOX- IMMUNREAKTION
Die sogenannten T-Zellen bilden den ersten Schutzschild gegen eindringende Stoffe. Sie erkennen diese und aktivieren dann andere Zellen des Immunsystems. Die B-Zellen produzieren Antikörper. Antikörper binden an die Eindringlinge, dadurch wird der „Feind“ markiert. Riesenfresszellen erkennen so die markierten Viren oder Bakterien und können diese schließlich „auffressen“ und so für uns unschädlich machen. Neben diesen Zellen gibt es im fein abgestimmten Immunsystem noch viele weitere: Mastzellen, Eosinophile usw.
Bei der allergischen Reaktion die nach dem Besuch bei meinen „Tierbesitzer-Freunde” einsetzt, spielen Mastzellen die Hauptrolle. Sie enthalten verschiedene Botenstoffe, unter anderem Histamin. Solange sich das Histamin im Zellinneren der Mastzellen befindet, ist alles in Ordnung. Auch beim allerersten Kontakt mit einem Allergen zeigt auch eine AllergikerIn wie ich keine Reaktion. Das Immunsystem prüft den Eindringling auf seine Gefährlichkeit. Bei einem AllergikerIn werden von den B-Zellen für dieses Allergen passende Antikörper (IgE) produziert. Bei einer normalen Immunreaktion fungieren diese als eine Art „Abfangjäger“, die an den Eindringling binden. Im Falle von Allergien binden die für das Allergen spezifischen Antikörper jedoch an die Rezeptoren auf der Oberfläche der Mastzellen. Dieser Vorgang wird als Sensibilisierung bezeichnet und liegt bei mir schon lange zurück.
Bei mir kommt es bei jedem Kontakt mit dem Tier-Allergen zu einer völlig überzogen Reaktion meines Immunsystems. Das Allergen dringt in meinen Körper ein und bindet direkt an die Antikörper, die auf der Mastzelle „sitzen“. Durch die Bindung werden die Oberflächenrezeptoren der Mastzelle vernetzt. Das ist der Startschuss für die Ausschüttung des Histamins und anderer entzündungsfördernder Signalstoffe aus der Mastzelle.
Dann können sie ihre Wirkung – eine komplexe Entzündungsreaktion- entfalten: die Bronchien und die Muskulatur der Lunge ziehen sich zusammen – die Luft wird immer weniger. Noch ist es bei mir nur die Atemnot. Im schlimmsten Fall kann es durch den Blutdruckabfall zu einem anaphylaktischen Schock kommen. Wenn dieser nicht sofort behandelt wird, kann er tödlich enden.
Kaum übertrete ich die Türschwelle bei mir zu Hause entledige ich mich all meiner „verseuchten“ Kleidung und stopfe sie in die Waschmaschine.
WELTWEITES PROBLEM – BEDINGTE BEHANDLUNG
Aber ich bin nicht die Einzige, weltweit leiden etwa 339 Millionen Menschen an Asthma bronchiale. Es gibt auch immer wieder Patienten, die in Folge eines Asthma Anfalls sterben. In Deutschland sterben 4-8 von 100.000 Menschen pro Jahr in Folge von Asthma.
Es gibt zwar verschiedene Medikamente gegen Allergien, meist in Form von Sprays. Sie behandeln jedoch alle nur die Symptome der Allergie, nicht deren Auslöser. Die bekanntesten darunter sind Antihistaminika, die das aus den Mastzellen freigesetzte Histamin abfangen.
Meine Antihistamin-Tabletten schlucke ich präventiv wenn ich weiß, dass ich mich einem Allergen aussetzen könnte. Auch meine beiden Asthmasprays erfüllen unterschiedliche Funktionen. Mein Akut-Spray ist mein ständiger Begleiter der für eine schnelle Bekämpfung der Atemnot her hält. Mein täglich konsumierter Cortison-Spray wirkt hingegen längerfristig, auch wenn die Wirkung erst verzögert eintritt.
INFOBOX – MEDIKAMENTE
Für die Akuttherapie werden auch sogenannten Beta-Sympathomimetika (Beta-2-Rezeptor-Agonisten) (z.B. Salbutamol) verabreicht. Diese wirken der Entzündungsreaktion innerhalb weniger Minuten entgegen und verschaffen für 4-6 Stunden Erleichterung. Sie sorgen für eine Erweiterung der Bronchien und die verbesserte Aufnahme von Sauerstoff. Durch ihre Wirkung auf den stimulierenden Teil des vegetativen (nicht steuerbaren) Nervensystems – den Sympathikus – kann es zu Nebenwirkungen wie Zittern, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel oder sogar Herzrhythmusstörungen kommen.
Das Hormon Cortison wirkt ebenfalls entzündungshemmend. Im Körper wird es in der Nebenniere gebildet. Cortison-Präparate stellen die effektivste Therapie gegen allergische Symptome dar. Dafür müssen sie allerdings dauerhaft angewendet werden. Nach mehreren Tagen bis Wochen wird so eine Hemmung der allergischen Reaktion bewirkt.
Als Nebenwirkung bei der täglichen Einnahme eines Asthmasprays, kann es zu Heiserkeit oder Pilzbefall der Mundschleimhaut (Mund-Soor) kommen.
EINE „IMPFUNG“ ALS HEILSBRINGER?
Die einzige Therapie, die es momentan gibt, um die Ursache zu behandeln ist die sogenannte Allergie-Impfung. Dabei wird der Körper langsam an das Allergen gewöhnt, um die überschießende Reaktion des Immunsystems abzuschwächen.Da auch bei geringer Allergen-Dosis eine allergische Reaktion stattfinden kann, schlimmstenfalls auch ein anaphylaktischen Schock, muss diese Therapie unter strenger ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden, wobei die Anwendung je nach Allergen täglich bzw. 4-6-wöchentlich stattfinden muss.
Die Behandlung ist jedoch sehr langwierig, da sich die Behandlungsdauer auf über 3- 5 Jahre erstreckt. Der Erfolg ist darüber hinaus nicht garantiert, da dafür viele verschiedene Faktoren (z.B. welches Allergen, Grad der Allergie) eine Rolle spielen.
Solange kein neues „Wundermittel“ auf den Markt kommt, bleibt mir nichts anderes übrig als den Allergenen weiter auszuweichen. Ich bleibe also die, die nur einen Fisch hat. Steffi werde ich in Zukunft nicht mehr besuchen – obwohl die Katze wirklich süß aussieht.
INFOBOX – NEUE LÖSUNGEN?
Für WissenschaftlerInnen weltweit sind neue Therapiemöglichkeiten gegen Allergien und im Besonderen allergisches Asthma eine spannendes Forschungsfeld.
Erst kürzlich ließen Münchner ForscherInnen mit der Entdeckung eines neuen Wirkstoffs aus der Larve eines Wurmparasiten aufhorchen. Als Parasit muss der Rundwurm Heligmosomoides polygyru das Immunsystem ihres Wirtes überwinden. Das gelingt ihm mit einem Protein namens Hpb-Glutamat-dehydrogenase. Dieses Protein sorgt dafür, dass sich im Wirt entzündungshemmende Stoffe bilden und gleichzeitig die entzündungsfördernden Botenstoffe reduziert werden. Diese Wirkung konnten die Forscher bereits an Mäusen mit allergischem Asthma bestätigen. Auch Versuche an menschlichen Zellkulturen zeigen vielversprechende Ergebnisse. (Science Translational Medicine, 22 April 2020. DOI: 10.1126/scitranslmed.aay0605)
INFOBOX – ALLERGEN-SPEZIFISCHE IMMUNTHERAPIE (AIT)
Die sogenannte Hyposensibilisierung oder Allergen-spezifische Immuntherapie (AIT)wird oft auch als Allergie-Impfung bezeichnet. Dabei werden geringe Mengen des Allergens mittels Spritze (subkutane Immuntherapie, SCIT),oder durch Tabletten oder Tropfen (sublingual, SLIT) verabreicht. Besonders erfolgreich ist die AIT bei Patienten mit Insektengift-, Pollen- und auch Hausstaubmilbenallergie. In den letzten Jahren gibt es vermehrt Studien, die auch positive Effekte bei allergischem Asthma zeigen, z.B. kann die Cortison-Dosis bei Pollen- oder Hausstaubmilben-AllergikerInnen reduziert werden. (Clin Transl Allergy. 2017; 7: 25. doi: 10.1186/s13601-017-0160-0)
Auch für „Tierhaar-AllergikerInnen “ ist die AIT möglich, jedoch zeigen Studien hier ein ungenügendes Nutzen-Risiko-Verhältnis.
Die Hyposensibilisierung mit mehr als einem Allergen gleichzeitig ist noch nicht genügend studiert. (Immunotherapy. 2018 Jun; 10(7): 579–593. doi: 10.2217/imt-2017-0138) Das heißt jemand wie ich, der mehrere Allergien hat müsste für jede eine eigene Therapie in Anspruch nehmen.